Egal, ob Konzern oder Mittelständler: Firmen in ganz Europa, die Waren in Asien und insbesondere in China einkaufen, kämpfen mit Lieferengpässen und stark wachsenden Frachtraten. Bestellte Sendungen erreichen Europa verspätet, weil Häfen überfüllt und die Containerschiffe auf den Routen in Richtung Westen randvoll sind. Dazu kommt: In asiatischen Häfen fehlen zum Teil Leercontainer, weil die Liefervolumen von Fernost in den Westen derzeit deutlich höher sind als in die andere Richtung. Charterschiffe sind kaum mehr zu buchen, weil die Kapazitäten nicht mehr erhältlich sind. Verschärft wird die Lage dadurch, dass den geringeren Kapazitäten zum Teil höhere Abverkaufszahlen und damit größere Warenmengen gegenüberstehen. Einige Reeder haben jetzt Buchungen für 2020 gestoppt, weil die Schiffe bis Jahresende voll sind. Und sie streichen absichtlich geplante Abfahrten, um die Frachtraten nach oben zu treiben. Insider berichten, dass binnen 13 Wochen 26 Abfahrten in Richtung Europa ausgefallen sind.
Von permanent steigenden Kosten und kostspieligen „saisonalen Zuschlägen“ der Reedereien berichten Unternehmen dem Bochumer Softwareanbieter Setlog. Mehr als 100 Modemarken, die viel Ware in Asien herstellen lassen, nutzen Setlogs SCM-Software OSCA, um ihre internationalen Lieferketten zu steuern. Eine der großen Reedereien offeriert eine Art „Prioritätsservice“ mit einem Aufpreis von rund 1.000 US-Dollar, mit dem sich Unternehmen einen Platz auf einem gewünschten Schiff „erkaufen“ können. Doch auch die Zuschläge sind keine Garantie, dass die Transporte in Richtung Europa reibungslos laufen. „Bei 20 Prozent der Buchungen helfen auch die Zuschläge nicht“, weiß Setlog-Vorstand Ralf Düster aus Gesprächen. Er schätzt, dass insgesamt nur noch zehn Prozent aller alten Verträge eingehalten werden. Kurzfristige Transportbuchungen seien fast unmöglich. Die Folge: Firmen geben Transportaufträge von China nach Europa inzwischen bis zu sechs Wochen vor der Verschiffung.
Wie stark die Preise auf dem Spotmarkt gestiegen sind, zeigen die Statistiken: Seefracht: In der Kalenderwoche 48 kletterte der Shanghai Containerized Freight Index auf fast 3.000 US-Dollar für einen 20-Fuß großen Seefracht-Container. Das entspricht etwa dem Vierfachen des Werts vor sechs Wochen.
Luftfracht: Der Rückstand bei den Transporten nach Europa beträgt zum Teil sechs Tage. Manche Fluggesellschaften rufen je nach Relation bis zu 9,50 US-Dollar pro Kilogramm frachtpflichtigem Gewicht auf. Zum Vergleich: Noch vor einigen Jahren wurde ein Kilogramm für 1,75 US-Dollar geflogen. Auslöser der Kapazitätsengpässe ist das Coronavirus. Weil große Teile der Passagiermaschinen-Flotten am Boden bleiben, stehen die sogenannten Belly-Kapazitäten nicht mehr als Frachtraum zur Verfügung. Manche Airlines lassen Passagierflugzeuge kurzerhand zu Frachtern umrüsten. In dieses Business ist vor Kurzem auch der Iron Maiden-Sänger Bruce Dickinson mit Caerdav eingestiegen. Der Rockmusiker und Unternehmer ist der Aufsichtsratsvorsitzende der Firma.
Bahnfracht: Um einen Container auf der Schiene aus dem chinesischen Wuhan nach Deutschland zu transportieren, müssen mitunter mehr als 8.000 US-Dollar auf den Tisch gelegt werden. Der Grund: Wie in der Seefracht sind die Warenströme von Ost nach West deutlich größer als umgekehrt, wie Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des DSLV Bundesverband Spedition und Logistik, vor Kurzem erläuterte. Außerdem seien Waggons für den Warentransport ein knappes Gut.
Damit aufgrund der hohen Frachtraten wenigstens die Kosten pro Warenstück gering sind, rät der Geschäftsführer der Prologue Solutions GmbH, Patrick Merkel, Unternehmen dazu, sich frühzeitig Informationen der Lieferanten zu den Bestellungen zu besorgen und nach Möglichkeit eine Bündelung der Sendungen vorzunehmen (Buyer´s Consolidation). Grundlage für das schnelle Agieren seien digitale SCM-Lösungen, an welche alle Supply Chain-Partner angeschlossen sind. So bekämen sie zeitgleich und ohne Medienbrüche die neuesten Informationen aus der Lieferkette, wenn beispielsweise Verlader Buchungsänderungen vornehmen.
Foto: Dominik Luckmann/unsplash
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