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An der HAW Hamburg wird an fairen, grünen wie schönen Textilien geforscht
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Nachhaltiges Gestalten und Herstellen von Textilien – ob für Bekleidung oder den Wohnbereich – soll Ressourcen schonen und die Umwelt möglichst wenig belasten. Dazu entstehen bei Textildesign-Professorin Renata Brink am Department Design der HAW Hamburg auf dem Campus Armgartstraße eindrucksvolle Forschungsarbeiten. Die rund 50 Studierenden im Textildesign erkunden und erproben zukunftsfähige Materialien für Kleidung und Wohngewebe in kreativem Design und anspruchsvoller Verarbeitung. Medienvertreter*innen und Interessierte sind eingeladen, sich am 18. Oktober auf dem Symposium GREEN CYCLES am Campus Armgartstraße weiter zu informieren.

Slow Fashion versus Massenkonsum
Jede oder jeder Deutsche kauft im Jahr zirka 70 Kleidungsstücke. Die meisten Fast Fashion-Produkte sind weder fair noch umweltschonend produziert. Doch mit Slow Fashion gibt es den Gegentrend: Neben der Verwendung von ökologischem Material geht es um die Herstellung von Textilien unter menschenwürdigen Bedingungen. "Faire" Mode meint gute Arbeitsbedingungen entlang der Produktionskette. "Grün" ist Mode, wenn sie aus ökologisch abbaubaren Materialien besteht und weitestgehend auf Chemikalien verzichtet wurde. Einer Umfrage der "Fashion Revolution" in 2015 zufolge konnte jede zweite Modemarke die Fabriken nicht finden, in denen sie ihre Produkte fertigen lässt. Drei von vier Labels wussten nicht, woher ihre Stoffe stammen. Über die Herkunft der Rohstoffe für die Kleidungsstücke konnten gar nur 10 Prozent eine Antwort geben.

Textildesign-Forschung – zukunftsfähige Materialien entdecken und gestalten
Textildesign bedeutet, Flächen zu schaffen, überhaupt Faserverbindungen herzustellen, also zu weben, zu stricken oder zu filzen. Professorin Renata Brink lehrt seit 2010 Textildesign an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Sie ist geprägt von einem mehrjährigen Lehr- und Forschungsaufenthalt in Großbritannien. „Die Arts and Crafts-Bewegung hat mich fasziniert“, erklärt die gelernte Handweberin: „Ihr Produktdesign entsprach höchsten handwerklichen Standards, entstanden als Reaktion auf industriell gefertigte Massenware. Von der Ausbeutung der zumeist weiblichen Arbeitskräfte, den extremen Arbeitsbedingungen, den Hungerlöhnen ganz zu schweigen. Diese Aspekte kommen heute wieder bei der Slow Fashion zum Tragen.“

Zirka 50 bis 60 Prozent aller Kleidungsmaterialien werden auf Erdölbasis hergestellt, 40 Prozent bestehen aus Baumwolle. Was könnten natürlich gewonnene Gewebe sein? Wie wären sie beschaffen und sehen sie auch gut aus? Brink ermutigt zum Design zukunftstauglicher Textilien: „Die Suche nach neuen Materialien führt immer wieder zu Überraschungen, zu neuen schöpferischen Anwendungen. Dabei leitet die Frage: Was ist unsere Verantwortung im Design? Jedenfalls: Fast Fashion ist Out!“ Umweltverträgliche textile Werkstoffe zu entwickeln, stösst kreative Prozesse an: „Entscheidend ist, den Kopf dafür freizubekommen. Der Design-Begriff ändert sich gerade!“

Die hohe Zahl an produzierten Textilien bedeutet einen immensen Materialverbrauch. „Der weitgehende Verzicht auf den Einsatz von Virgin Materials ist gegenwärtig eine der großen An- und Herausforderungen im Textildesign“, so Brink. In mühsamer Detailarbeit probieren die Studierenden, welche Verarbeitungstechniken sich anbieten und welche Eigenschaften das fertige textile Produkt aufweist. „Am Anfang steht die Auseinandersetzung mit dem Material, seiner Beschaffenheit und seinen freizulegenden Möglichkeiten. Durch Experimentieren ergeben sich wiederum plausible Verarbeitungstechniken.“ Dabei entstehen überraschende neue Endprodukte.

Leder aus Zucker – Möglichkeiten des Biodesigns
Die Klette diente als Vorbild für den Klettverschluss. Dieses Adaptieren natürlicher Lösungen, eine Art des Biodesigns, nutzt auch Hilke Scholz. Sie experimentiert in ihrer Bachelor-Arbeit „Berührungspunkte“ mit dem Gärgetränk Kombucha und züchtet Bakterienzellulose. Bei der Fermentation von Zucker und schwarzem Tee entsteht auf der Flüssigkeitsoberfläche eine Haut, die der Kombuchakultur den Zugang zu Sauerstoff ermöglicht. Dieser SCOBY (symbiotic culture of bacteria and yeasts), eine Symbiose aus Bakterien und Hefen, ergibt eine Ballaststoffmatrix (Kombuchan und Glucan), die dem Kollagenfasernetz der menschlichen Dermis unglaublich ähnlich ist.

Nach mehreren Wochen ist das gezüchtete Zellulosevlies zirka ein Millimeter dick. Es sieht zunächst glitschig aus, robust und faltig. Nach dem Trocknen erinnert es an rissiges, sprödes Pergament mit der Grammatur von Druckerpapier. Die Kombucha-Flächen können je nach Dicke und Größe spröde und rissig, hart und stabil oder biegsam und elastisch sein. Das vegan Leder lässt sich ganz unterschiedlich bearbeiten, kann gehäkelt, gefaltet, gewoben werden. Scholz hat außerdem erprobt, die möglichst glatt gebügelte Bakterienzellulose im Lasercut-Verfahren mit Mustern zu versehen: „Aufgrund der hohen Absorptionsfähigkeit eignet sich diese Bakterienzellulose vielleicht als Wandverkleidung oder als Raumelement, das die Luftfeuchtigkeit beeinflusst.“

Honeycomb Carpets - Teppiche aus verwebten Filzresten
Das Credo von Textildesign-Absolventin Sophia Buhnés lautet: Ausprobieren, was das Material ermöglicht. Das Material setzt den ausschlaggebenden Impuls für die Form und das gestalterische Vorgehen: Sie verwendet den Werkstoff Filz, eine verdichtete Struktur von Wollfasern, deren Schuppenplättchen mithilfe von Schub, Druck, Feuchtigkeit und Wärme aufgestellt und ineinander verkeilt werden. Das Walken geschieht unter Einsatz von Wasserdampf. Filz kann Schall absorbieren, ist schwer entflammbar und geruchsneutralisierend.

Für ihre Master-Arbeit „Honeycomb Carpets“ experimentiert Buhné über mehrere Semester mit recyceltem Filz. Sie verwendet zunächst die Sticktechnik des Smokens, um den Umgang mit dem Material zu erproben. Daraus erwächst die Idee einer wärmenden Hängematte, wie sie in nordischen Ländern nützlich wäre – eben aus gesmoktem Filz statt aus luftigem Netzgewebe. Für ihre gewebten Teppiche arbeitet sie mit Rollenabschnitten, die in der industriellen Filzproduktion anfallen, schneidet sie in Streifen und verwendet sie als Schussmaterial.

Auf dem Kontermarschwebstuhl in der Weberei-Werkstatt der Hochschule in der Armgartstraße mit 120 Zentimeter Breite entstehen Teppiche in Wabenbindung (Honeycomb-Bindung). Die Wabenform setzt sie im Größenverlauf optisch ansprechend um: Die größte Wabe befindet sich in der Mitte, die Form wird zierlicher bis zu den Abschlusskanten, wo sie als schmaler Strich verläuft. Nicht nur der Farbkontrast ist stark, ein tiefschwarzer Wollfilz und cremeweißes Teppichgarn. Auch der Material-Kontrast wirkt – Filz ist chaotisch, die Webtechnik hingegen hat ein klares und strukturiertes Fadensystem: „Innerhalb meiner eigenen Teppicharbeiten werden zwei Techniken, das ‚nomadenhafte‘ oder heute ‚urbane‘ Filzen und das ‚traditionelle’ Weben miteinander verbunden und so in einem ganz neuen Kontext miteinander vereint“, analysiert Buhné.

„Das Gewebe dieser Welt ist aus Notwendigkeit und Zufall gebildet“
Die beiden skizzierten Forschungsarbeiten zeigen exemplarisch, dass überraschende, neue Materialien für das Textildesign erzeugt werden können. Das Züchten und Verarbeiten von Kombucha-Leder, wie es Hilke Scholz im Rahmen ihres biologisch inspirierten Textildesigns gezeigt hat, ergibt ein unterschiedlich einsetzbares Material, das der „Zeichnung“ der Haut und ihrer „Architektur“ nahe kommt. „Sophia Buhné hat mit Honeycomb Carpets die Produktmöglichkeiten eines Teppichkonzepts mit Restmaterialien aus der Industrie erprobt – bei höchsten zeitgemäßen, ästhetischen Ansprüchen“, unterstreicht Prof. Brink. Buhné wird ihr Upcycling-Produkt, die neuartige Produktfamilie von gewebten Filzteppichen in einer speziellen Bindung, weiterentwickeln und am Markt zu platzieren versuchen.

Das Gewebe dieser Welt „sei aus Notwendigkeit und Zufall gebildet“, hatte Goethe geschrieben. Bei Prof. Renata Brink und ihren Absolvent*innen des Studiengangs Textildesign erweist sich das überaus produktive Gewebe von Nachhaltigkeit und Kreativität.


Autorin: Frauke Hamann für die HAW Hamburg
Bild: Arbeit von Sophia Buhné, Fotocredit: Design/HAW Hamburg