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Neue Digitalisierung-Vorbilder aus China
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Chinesische Unternehmen hatten lange den zweifelhaften Ruf erfolgreiche Produkte, Marken und Geschäftsmodelle aus dem Westen zu kopieren. So fanden sich regelmäßig kurz nach Markteinführung in Elektronikmärkten in Peking oder Shanghai genaue Abbilder von „Nokir“- oder „Samsing“-Telefonen. Mittlerweile hat Huawei den Kampf mit den großen Smartphone-Herstellern aufgenommen – und schlägt sich gut. Mehr als 200 Millionen ausgelieferte Smartphones 2018 bedeuten eine Zunahme um über 30 Prozent zum Vorjahr. Damit liegt der chinesische Hersteller mit 13,4 Prozent Marktanteil weltweit noch hinter Samsung (18,9 Prozent) aber deutlich vor Apple (11,8 Prozent). Ende 2019 will Huawei Marktführer sein.

„Made in China“ steht längst nicht mehr zwangsläufig für Billigprodukte aus Fernost. Unter der politischen Initiative „Made in China 2025“ wird es immer mehr zum ernstzunehmenden Siegel für Innovation. Ein Feld des 2025-Plans ist die Förderung von Smart Manufacturing. Chinesische Unternehmen sollen Fabriken und Lieferketten umfassend digitalisieren. Ziel ist es, bis 2025 die Betriebskosten, Produktionszeit und Ausfallquoten um 50 Prozent zu senken. Dafür investiert der chinesische Staat Milliarden.

Für Lectra, dem Technologie-Partner für Textil und Leder verarbeitende Unternehmen, ist China eine der vier Säulen der Unternehmensstrategie bis 2019. Die erste Niederlassung hatte Lectra bereits vor 35 Jahren in China eröffnet. “Mittlerweile ist China Lectras zweitgrößter Markt und wird ohne Zweifel innerhalb von drei Jahren zum größten Markt aufsteigen“, sagt Daniel Harari, CEO von Lectra.

Yanfeng: Kommt der Autoinnenraum der Zukunft aus China?
Wie chinesische Industrieunternehmen technische Neuerungen im Höchsttempo implementieren, zeigt Lectra mit Yanfeng Automotive Interiors mit Sitz in Shanghai. Der weltweit größte Zulieferer für Auto-Innenausstattung hat erst 2015 offiziell die Arbeit aufgenommen, als Joint Venture von Yanfeng Automotive Trim Systems und Johnson Controls. 2018 hat Yanfeng am Deutschland-Standort in Neuss eines von vier Innovationszentren eröffnet. Auf insgesamt 2.550 Quadratmeter arbeiten rund 40 Mitarbeiter in unterschiedlichen Disziplinen am Autoinnenraum der Zukunft. Teil der Fertigung dieses Innenraums ist die automatische Zuschnittlösung Vector iX6 von Lectra.

Die wachsende Nachfrage der Verbraucher nach Personalisierung macht die Fertigung von Interieur-Komponenten immer komplexer. Ausgestattet mit hochfrequentem Vibrationsschneiden und intelligenter Softwaresteuerung erhöht die automatische Zuschnittlösung die Materialausnutzung und die Produktivität, vor allem bei kleinteiligen Textilien aus Vinyl und laminiertem Gewebe. „Wir haben den Anspruch, die Mobilität von morgen, die durch globale Megatrends wie beispielsweise autonomes Fahren, Elektromobilität und Carsharing sowie neue Akteure und Technologien geprägt wird, aktiv mitzugestalten“, sagt Han Hendriks, Chief Technology Officer bei YFAI.

Kuka Home: Fachkräftemangel in Fernost
Der Treiber der Digitalisierung sind in China aber nicht nur in die Politik und der 2025-Plan. Auch steigende Material- und Arbeitskosten spornen Unternehmen mittlerweile zu Innovationen an. Kuka Home ist eines der ersten Unternehmen der chinesischen Polstermöbelindustrie, das konsequent die digitale Transformation verfolgt. 2018 haben die Chinesen in Deutschland für Aufsehen gesorgt und die bekannte Sofamarke Rolf Benz übernommen.

Kuka designt und entwickelt seine Polstermöbel mit 3D-Software von Lectra, dem sogenannten Virtual Prototyping. Machbarkeitsanalysen, Kosten- und Qualitätsbewertungen sind komplett virtuell und somit bereits früh im Entwicklungsprozess möglich.

Im Lederzuschnitt setzt Kuka statt manuellem Zuschnitt auf die Industrie 4.0-fähige Lösung Versalis. „Die Einführung digitalisierter Zuschnitttechniken trägt wesentlich zur Steigerung der Produktionsleistung bei. Wir sind nun in der Lage, Kleinserien zu verarbeiten und unsere Kosten zu senken“, sagt Pan Chaoping, Lean Production and Planning Management Director bei Kuka. Zudem reduziert Kuka die Abhängigkeit von den Fähigkeiten des Bedieners in Bezug auf Produktivität und Produktqualität. In der boomenden chinesischen Wirtschaft ist auch der Fachkräftemangel mittlerweile ein Thema.

Ruyi: Heute China, morgen die Welt
In Tai’an hat die chinesische Shandong Ruyi-Gruppe mit Lectra ihren Standort von einer herkömmlichen Bekleidungsfabrik in eine Industrie-4.0-reife Produktionsstätte verwandelt. In dem Werk produziert Ruyi jährlich über eine Million Herrenanzüge. Obwohl in Europa außerhalb der Textilbranche unbekannt, gehört das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von sieben Milliarden US-Dollar und 50.000 Mitarbeitern zu den wichtigen Playern im internationalen Modegeschäft.

Besonders in Europa und den USA ist das Unternehmen auf Expansionskurs. 2018 übernahm Ruyi die Schweizer Traditionsmarke Bally und ist damit zu einem der 20 größten Luxuskonzerne der Welt aufgestiegen.

„Heute stehen wir einem weitaus komplexeren internationalen Markt gegenüber“, bemerkt Qiu Mu Ke, Chairman, Tai’an Ruyi Technology Fashion Industry Co., Ltd. Um sich dem verändernden Markt und den wechselnden Kundenanforderungen anzupassen, trimmt das Unternehmen seinen Zuschnittbetrieb auf „lean“. Eine automatische Schnittbilderstellungssoftware und sechs neue Vector-Cutter sorgen für Geschwindigkeit. „Wir verzeichnen eine höhere Maschinenverfügbarkeit, ein Prozent bessere Stoffausnutzung und 30 Prozent mehr Produktionseffizienz“, erklärt Qiu. Ohne Qualitätseinbußen. Denn für Qualität aus Fernost soll es in Zukunft stehen: Das Label „Made in China“.


Javier Garcia, Präsident Asien-Pazifik bei Lectra, über die neue Hightech-Macht China

Chinas Industrie ist in den letzten Jahren rasant fortgeschritten. Das Land hat sich von der Billigproduktion verabschiedet und setzt nun auf Hightech. Javier Garcia, Präsident Asien-Pazifik bei Lectra, berichtet über die Trends des chinesischen Markts und das große Potential für technologische Innovationen.

China hat die Digitalisierung von Unternehmen schnell vorangetrieben. Was sind ihrer Meinung nach die Erfolgsfaktoren?
Javier Garcia: Blickt man einige Jahre zurück, dann war China ein Billiglohnland, das niedrige Lohnkosten und die reichlich vorhanden Arbeitskräfte als Pfeiler seiner Wirtschaftsstrategie nutzte. Das hat sich in den vergangenen 5-10 Jahren, mit den auch dort steigenden Lohnkosten und dem Arbeitskräftemangel, radikal verändert. Heute setzt die chinesische Industrie in vielen Bereichen, wie zum Beispiel in der Mode- und Bekleidungsbranche, in der Möbel- sowie der Automobilindustrie auf Digitalisierung und hochtechnologische Lösungen im Produktionsbereich. Die Regierung in China treibt mit der Initiative „Made in China 2025“ sowie einigen weiteren Förderprogrammen und finanziellen Anreizen die Modernisierung der Industrie und somit auch den Grad der Automatisierung und Digitalisierung von Herstellungsprozessen stark voran. Im Automobilmarkt verhielt sich die Entwicklung der Industrie etwas anders, da diese in China ziemlich neu ist. Die meisten Automobilwerke wurden erst in den vergangenen Jahren gebaut, und so entstanden direkt technologisch hochleistungsfähige Fertigungsanlagen. Somit gibt es auch keine Altlasten, was nicht digitale oder nicht automatisierte Lösungen betrifft.

Wie sind die Marktbedingungen in China?
JG: Denkweise und Mentalität der Kunden in China sind sehr unterschiedlich, verglichen dazu, wie wir sie aus anderen Ländern kennen. Es gibt in den Bereichen, in den Lectra tätig ist, ein riesen Marktpotential, da die meisten Unternehmen nach den besten neuen Technologien und Lösungen suchen. Sie sind stetig bestrebt ihre Prozesse noch weiter zu optimieren und haben keine Berührungsängste mit neuen Technologien. Dies birgt für Unternehmen wie Lectra viele Chancen und wir können mit unserer Erfahrung und neuen Innovationen Veränderungen in den Branchen begleiten und beeinflussen.

Inwiefern unterscheiden sich die Bedürfnisse von Unternehmen und Managern in China von Kunden, zum Beispiel in Europa oder Amerika?
JG: Der Hauptunterschied liegt in der Geschwindigkeit. Man kann sagen, dass chinesische Manager etwa zehn Mal schneller entscheiden als Manager in Nordamerika oder Europa. Das ganze wird beschleunigt durch die Regierung mit ihrem starken Fokus auf digitale Transformation. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Lectra hat vor einigen Jahren eine neue Lösung für den Laserzuschnitt von Airbags, FocusQuantum, eingeführt. Während Unternehmen in Nordamerika und Westeuropa ein oder mehrere Jahre validieren, hat ein chinesisches Unternehmen sich bereits vor der offiziellen Markteinführung zum Kauf entschlossen.

Welche Trends sehen Sie in China in den verschiedenen Industrien und was bedeuten Sie für Unternehmen wie Lectra?
JG: Der Grad der Automatisierung und Digitalisierung der chinesischen Mode- und Bekleidungsindustrie hat in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen. Hier bewegen sich nicht nur Top-Unternehmen sondern der Großteil des Marktes in einem hochtechnologischen Umfeld. Es ist spannend zu beobachten, wie schnell sich der Markt und somit die Nachfrage in China ändert. Heute sind nicht mehr Lösungen für hohe Stückzahlen die meist verkauften Systeme, sondern Technologien zur Verwaltung personalisierter und individualisierter Produkte, um maßgeschneiderte High-End-Bekleidung herzustellen.

Die Möbelindustrie war im Vergleich zur Bekleidungs- und Automobilindustrie am langsamsten, um digitale Technologien in den Herstellungsprozess zu integrieren. Hier sehen wir gerade, neben dem Wachstumspotential für digitalen Zuschnitt, großes Interesse an digitalisierten Produktentwicklungsprozessen, da auch in der Möbelfertigung der Trend zur Individualisierung Einzug hält. Zudem investieren Unternehmen in Prozesse für besseres Design und hochwertigere Materialien, da das für den Kunden eine immer wichtigere Rolle spielt.

Der neue Trend beim Interieur von Autos ist es, neben den Sitzen den gesamten Auto-Innenraum mit Stoff oder Leder zu verkleiden, wie zum Bespiel Türen, Cockpits oder Mittelkonsolen. So bieten Unternehmen Autokäufern mehr Variationen und Differenzierung. Die große Herausforderung besteht darin, unsere Kunden mit Technologien und Prozessen zu unterstützen, die kleine Mengen individualisierter Produkte ebenso ermöglichen wie den schnellen Wechsel zwischen Varianten – und das am besten ohne nennenswerte Kostenerhöhung. Yanfeng Automotive Interiors, der weltweit größte Zulieferer für Auto-Innenausstattungen, setzt dafür beispielsweise auf die automatische Zuschnittlösung Vector iX6 von Lectra, um die wachsende Nachfrage in Bezug auf die Personalisierung zu bedienen und ihrem Anspruch, die Mobilität von morgen aktiv mitzugestalten, gerecht zu werden.

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Digitalisierung in China?
JG: Es ist eine weitere Beschleunigung zu erwarten. Denn gerade sprechen wir nur über die industrielle Entwicklung, aber auch im Konsumentenbereich ist China bereits das digitalisierteste Land der Welt. China hat eine riesige Marktgröße und eine Regierung, die Digitalisierung mit allen Mitteln forciert. Somit sind die Weichen für China als neue High-Tech-Macht eindeutig gestellt.

Vielen Dank für das Gespräch.