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Corona in der Modebranche: Krise, Brandbeschleuniger oder Gamechanger?
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Die intensiven Diskussionen über die Wiedereröffnung von Geschäften und die Vehemenz, mit der über Quadratmeterregelungen auch gerichtlich gestritten wird, zeigen, wie groß die damit verbundenen Hoffnungen sind. Die ersten Erkenntnisse sowie die Gewissheit, dass gerade in den teuren Hochfrequenzlagen die Kunden und auch Touristenströme fehlen, lassen jedoch keine schnelle Erholung erwarten – Konsum-Ausnahmen werden kurzfristig echte Bedarfskäufe sein, vermutlich Kinder- und Jugendartikel. W&P-Expertengespräche im Mode- und Sportumfeld ergaben: Der Modehandel wird über das Jahr betrachtet rund 25% an Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr verlieren. Es ist daher völlig unstrittig, dass es sich um eine ernstzunehmende, gravierende Krise handelt. Nachdem das Renditeniveau bei vielen Unternehmen in den vergangenen Jahren nicht ausreichend hoch war, kommen diese nun zum Teil schnell in eine existenzgefährdende Situation.

Neu ist das Problem jedoch nicht, wenn man ganz ehrlich ist. Vielmehr ist eine massive Beschleunigung „Handelssterbens“ v.a. auch im Modebereich zu befürchten. Statements der letzten Jahre, dass bis zu 50.000 Läden bis 2021 vor dem Aus stünden oder eine deutliche Konsolidierung der Kauf- und Warenhäuser auf maximal 10 wesentliche Spieler in Deutschland zu erwarten sei, bringen jedoch kein Unternehmen in der aktuellen Situation weiter.

Es stellt sich vielmehr die Frage, was die Krise nachhaltig ändert. Inwieweit fungiert sie als Gamechanger? Betrachtet man einige wesentliche Bereiche mit potenzieller Veränderung, so zeigt sich kein einheitliches Bild:

Nachhaltiger Konsum:
Es besteht sicher Grund zur Hoffnung, dass nachhaltigerer Konsum ein direktes und kurzfristiges Resultat der Krise sein wird. Inwieweit Verbraucher sich jedoch auch nach abgeklungener Krise noch mittelfristig an die „Nachhaltigkeit“ erinnern werden, ist fraglich. Denn viele Menschen werden Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, was zu einer deutlichen Ausgabenreduktion - auch bei Kleidung - führen wird. Per se wird das nicht zu einer Umschichtung von Günstiganbietern zu europäischen oder deutschen Herstellern führen.

Standorte und Mietpreise:
Die Entwicklung von Mietpreisen stagnierte in den letzten Jahren bereits erkennbar – denn der Handel konnte diese auch in guten Zeiten nur noch schwer erwirtschaften. Auch die Zahl der „bezuschussten“ Flagships nahm zunehmend ab. Mietverzichte, Neuverhandlungen und der Wegfall von Flächen werden also mit guter Wahrscheinlichkeit zu einer Anpassung der Mietpreise führen.

Digitalisierung und Strukturierung der Wertschöpfung:
Die Schwächen der bestehenden Strukturen, Prozesse und Abläufe haben sich an diversen Stellen innerhalb und außerhalb von Unternehmen deutlich gezeigt. Die aktuelle Krise kann und sollte die Anstrengungen und Bemühungen in diesen Bereichen daher deutlich beschleunigen.

Marktsegmente und strategische Positionierung:
Alles andere als neu, aber vor allem in der Modebranche immer noch äußerst relevant, ist die Frage der richtigen Positionierung. Zu viele Unternehmen sind immer noch mehr „Label“ als echte „Marke“ mit unklarer Position. Gerade Marken mit einer Positionierung zwischen günstig und Premium waren hier häufig „stuck in the middle“. Der Druck auf diese Marken wird tendenziell zunehmen. Eine dramatische Verschiebung der unteren und oberen Marktsegmente ist nach aktueller Einschätzung dagegen nicht zu erwarten.
Die gute Nachricht ist: Die Krise kann und wird auch positive Auswirkungen haben. Die schlechte Nachricht ist: Dies ist kein Automatismus für Unternehmen, sondern setzt proaktives Handeln und eine „Rekonfiguration“ voraus sobald die akute Phase der Liquiditäts- und Finanzierungssicherung abgeschlossen ist. Konkret bedeutet dies:

• den Ramp-Up, also das Wieder-Hochfahren nach der Krise, in Szenarien zu planen und zu quantifizieren

• Ertrags- und Verlustquellen zu identifizieren und anzupassen

• die strategische Positionierung zu überprüfen

• Prozesse zu verschlanken und end-to-end zu flexibilisieren

• die Digitalisierung am front-end und back-end des Unternehmens voranzutreiben und
• das gesamte Geschäftsmodell damit schlank, kundennah und vor allem wieder skalierbar zu machen

Unternehmer, die diese schwere Zeit aktiv nutzen, können so zum Gamechanger der Branche werden - und müssen nicht passiv auf automatische Effekte der Krise hoffen.

Kommentar von Philipp P. Prechtl, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Mode, Sport, Lifestyle bei Dr. Wieselhuber & Partner (W&P)