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Damit Ronaldo & Co. an der WM zaubern können
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Fussball-WM 2018

Der offizielle Ball für die FIFA-Fussball-WM 2018 in Russland hat nach zahlreichen Tests das «OK» der Empa erhalten. Manche Torhüter sehen dessen Flugeigenschaften zwar eher kritisch; Die Ursache ihrer Kritik könnte jedoch ganz woanders liegen – am eher unkonventionellen Äusseren des neuen Balls.

Fussball lebt von Emotionen. Wenn es um den diesjährigen WM-Ball geht, sind die Experten der Empa allerdings völlig emotionslos. Fragt man sie nach ihrem Eindruck zu den bereits des Öfteren bemängelten Flugeigenschaften des Adidas-Modells «Telstar 18» wehren sie ab: «Eindrücke sind etwas Subjektives», sagt Martin Camenzind vom «Laboratory for Biomimetic Membranes and Textiles». «Wir verlassen uns auf objektive Parameter, die den Telstar 18 charakterisieren.» Dass Kritiker, wie Spaniens Torhüter David De Gea und Pepe Reina oder der Deutsche Goalie Mark-Andre ter Stegen dem Ball «Flatterhaftigkeit» unterstellen, beeindruckt Camenzind daher kaum. Die eigens an der Empa in St. Gallen für offizielle Turnierfussbälle entwickelte Testreihe hat der Telstar 18 jedenfalls erfolgreich bestanden, und nur das zählt für den Empa-Forscher.

Seit 22 Jahren führt die Empa im Auftrag der FIFA die unbestechlichen Versuchsreihen mit Fussbällen durch, die das Gütesiegel des FIFA-Qualitätsprogramms anstreben. Längst nicht jeder Ball besteht die Probe. Hier werden nicht nur Umfang und Gewicht des Balls gemessen. Er darf ausserdem trotz 250-maligem Quetschen in einem Wasserbehälter nur minimale Mengen an Flüssigkeit aufnehmen, muss seine Luft halten können und immer wieder gleich hoch abspringen, wenn er aus zwei Metern Höhe aufprallt. Um zu beweisen, dass es sich um eine perfekte Kugel handelt, wird der Ball zudem an sage und schreibe 4000 Punkten vermessen. Und schliesslich muss diese Kugel ihre Form auch behalten, wenn sie 2000 Mal mit 50 Stundenkilometern gegen eine Stahlwand geschossen wurde.
Derartige Standards entscheiden mit über die Qualität und Konsistenz der Sportart. Als die Testreihen eingeführt wurden, gelang es noch nicht allen Herstellern, die verlangten Eigenschaften zu erzielen: «Es fielen immer wieder Exemplare durch», erinnert sich Camenzind. Mancher Lederball hätte etwa deutlich an Grösse zugenommen nach der Prozedur oder zu viel Wasser aufgesogen. Die heutigen Bälle seien denn auch geklebt oder geschweisst, da Nähte mit der Zeit nachgeben könnten. Ebenso ist das traditionelle Leder mehrheitlich Kunststoffen gewichen, deren Oberfläche gezielt strukturiert wird, was besonders bei Nässe auf dem Feld eine griffigere Führung des Balls ermöglichen soll.

Angewandte Physik statt Magie
Und eben diese Oberfläche sei es, melden Kritiker, die für den unberechenbaren Flug des Balles sorge. Telstar 18 sei ein merkwürdiges, flatterndes Exemplar, behaupten Torhüter verschiedener WM-Teams, die den Ball bereits testen durften. Doch Camenzind kontert: «Hier kommt auch die Optik mit ins Spiel», erklärt der Ingenieur. Telstar 18 ist nicht aus den traditionellen Sechs- und Fünfecken aufgebaut, sondern aus unregelmässigen Elementen, die unsymmetrisch bedruckt sind. So könne der fliegende Ball bei entsprechenden Lichtverhältnissen durchaus ein ungewohnter Anblick sein. «Wir konnten in einer Studie mit einem computergesteuerten Fuss zeigen, dass Bälle, bei denen ein flatterndes Flugverhalten bemängelt wurde, sich im Experiment bei definierten Verhältnissen keineswegs so verhielten.»

Dass die Flugbahn eines Fussballs ohnehin eine komplexe und mitunter, gemäss Theorie der Aerodynamik auch chaotische Angelegenheit ist, machen sich die wahren Könner zu nutze. Denn anders als ein stromlinienförmiges Geschoss, das eine perfekte Parabel beschreibt, verformt sich der Ball, beispielsweise wenn ihn der Spieler tritt. «Die Deformation durch den auftreffenden Fuss gibt dem Ball zunächst eine etwas wabbelige Bewegung», erklärt Camenzind. Gute Spieler machten sich diesen Effekt zu Nutze, nach dem Motto «bend it like Beckham». Hierbei handele es sich jedoch eigentlich nicht um Zauberkunst, sondern um akkurat angewandte Physik. Und die muss gut einstudiert sein, denn sobald der Fuss wenige Millisekunden am Ball ist, kann der Spieler seine Bewegung nicht mehr willentlich beeinflussen. Die Zeit reicht einfach nicht aus, um Nervenimpulse vom Fuss bis ins Gehirn zu leiten und ein taktisch ausgefeiltes Feedback an die Muskulatur des Spielers zu senden. Und so muss in der Kürze des Schusses die Physik von Fuss und Ball perfekt sitzen. Bälle von gleichbleibender Qualität tragen dazu bei, dass dies gelingt.